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18.Januar 2005

Das neue Jahr hat begonnen, wie die letzten zwei Jahre uns begleitet haben. Grottenschlecht! Mir fällt kein anderes Wort ein. Wir haben nicht nur mit Sandras Tod zu kämpfen, nein noch weitere Probleme begleiten uns seit dieser Zeit. Und es ist noch kein Licht in Sicht. In dieser Gesellschaft sind wir gut angreifbar. "Die sind schon verwundet, da hauen wir noch mal drauf!" Ich predige zu Hause Optimismus und bin innerlich völlig lustlos und antriebsarm. Es fällt mir schwer, fremden Menschen, die aus welchen Gründen auch immer in unser Leben treten, zu trauen. Wenn ich könnte, würde ich mich für einen heute noch nicht absehbaren Zeitraum zurück ziehen. Verkriechen, weglaufen, Zeit haben, nichts tun, in den Himmel starren. Das Sinnbild vom Hamster, der im Rad rennt bis fast zum Umfallen, das kommt mir oft in den Sinn. An welcher Stelle laufe ich? Vor kurzem sagte mir jemand, ich soll was tun, noch mal studieren - wir hatten Ideen - in diesen Momenten dachte ich: Ja! Tu es! - um später, als die Tür ins Schloss fiel sofort zu wissen, dass ich im Moment keinen Druck gebrauchen kann. Ich brauch Zeit! Viel Zeit! Wer mehr von mir erwartet, als ich derzeit bereit bin zu geben, muss damit leben, dass mein Leben nie mehr so sein wird, wie es vor Sandras Tod war! 

Ich beginne gerade unsere Söhne wieder wahr zu nehmen, sie mehr zu lieben, als ich je in den letzten beiden Jahren sie lieben konnte. Wir sind direkt an Heiligabend in den Süden geflogen. Ich habe diese Woche, die wir so eng mit den beiden zusammen waren genossen. Weihnachten ging an uns vorbei, nichts was uns erinnerte - es war gut so. Ich hatte so große Angst davor, den Jungen etwas zu stehlen. Aber ich habe gelernt, sie anzusprechen, sie zu konfrontieren mit meinen Gedanken und über Kompromisse zu reden. Wir werden Weihnachten eine Weile ausklammern, bis es darüber eine neue Gedankenwelt gibt. Weg fahren macht die Sache leichter. In der einen Woche ist mir sehr klar geworden, dass wir immer schöne Weihnachten hatten, mit Heimlichkeiten, Festlichkeiten, leuchtenden Kinderaugen. Aber wir sind eine von wenigen Familien gewesen. Für viele, viele ist es ein Fest der Einsamkeit - Kinder von Eltern, die sich getrennt haben, zurück gebliebene Partner, einsame Alte und Kranke, Familien ohne Kinder und Familien mit Schicksalen wie dem unsrigen. Die heile Weihnachtswelt gibt es doch nur noch im Film. Die hätten viele gern! Wenn unsere Jungen mal Kinder haben - wenn - werden wir alles überdenken müssen. Aber nicht jetzt!

Im Moment fordert mich die Schule. Es gibt Kinder, die mich mit ihren Gesten tief beeindrucken. Eine kleine Schülerin forderte mich vor kurzem auf, mich zu ihr herab zu beugen. Kaum war ich unten, hatte ich einen Kuss auf der Wange. Irgend etwas hatte sie dazu bewogen, mir das zu geben. Ihre Augen leuchteten. Wir waren beide plötzlich sehr vertraut. Aber es gibt auch Kinder, die meine ganze Kraft beanspruchen, mehr als ich bereit bin zu geben. Ich bedaure die dabei, die zu kurz kommen, die immer "brav" sind, die sich nicht ständig lautstark in den Vordergrund schieben. Ich habe keine Lösung, kluge Sprüche helfen nicht weiter, Schulgesetze schon gar nicht - die lassen uns oft im Regen stehen. Und so fühle ich mich oft doppelt unzulänglich, vertusche mit leblosen Plattitüden, oberflächlichem Geplänkel. Einfach überstehen - erst den heutigen Tag, dann den morgigen und so weiter.

Meine Seelentanke suche ich bei den Verwaisten Eltern. Wir können uns zum hundertsten Mal unseren Schmerz erzählen und müssen es immer wieder tun. Ein Rettungsanker ist meine Therapeutin. Aller zwei Wochen auswerfen - reden - reden - reden! Ich muss reden, darüber und immer wieder. Und darf es kaum noch - wer will das schon aushalten - mittragen? Es ist schwer zu tragen. Am meisten wundere ich mich, wenn ich manchmal versuche mit jemandem Smalltalk zu machen, obwohl ich genau weiß, dass ich es total lächerlich finde, weil es mich selbst gar nicht interessiert. Ich rede über unwichtige Zeug , belanglose Langweiligkeiten des Tages. Einfach nur Zeit füllen, weil ich nicht weiß, ob mein Gegenüber mein Schweigen missverstehen könnte. Wie oft wünschte ich, es würde mal einer ehrlich fragen, wie es in mir drin aussieht. Sicher ich müsste ihn bitten Zeit mitzubringen. Zeit!

Mein geliebte Sandra, meine Mama hat mir gesagt, ich soll mit dir reden. Ich denke, du kennst meine Wünsche, meine stillen Worte. Ich umarme dich, du fehlst in jeder Faser meines Körpers, du fehlst beim Aufstehen, du fehlst beim ins Bett gehen, du fehlst beim Träumen, du fehlst beim Reden ... du fehlst immer und überall! Ich liebe dich!!! Deine Mama

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© I. Weinhold 2004

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