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13.März 2008

 

Meine liebe Sandra,

immer noch fegen jede Menge Stürme übers Land. Die Blumen stecken alle schon die Köpfe aus der Erde und doch ist es kalt. Nur manchmal, wenn man die Sonne mal in mehr Ruhe auf der Haut, mitten im Gesicht spürt, ist die Wärme fühlbar. Ich vermisse dich! Es wird nicht weniger, eher tiefer.

 Bald wirst du 22.

An einem 22. war dein Leben zu Ende.

Ich kann dieser Zahl nicht ausweichen. Wenn ich mal an ein Autokennzeichen schaue, steht da mehr als oft eine 22.

An jedem 22. Tag eines Monats fahre ich immer noch an die Unfallstelle und bringe euch Blumen und Kerzen. Und immer noch nicht schaffe ich diese Schritte allein. Immer noch weiche ich dieser Stelle aus. Eigentlich weiche ich der ganzen Stadt aus, wenn ich kann.

Es kommt der sechste Geburtstag ohne dich. Was hättest du in all den Jahren getan? Hättest du immer noch Pathologin werden wollen? Wärst du noch hier in unserer Nähe oder schon weit fort gezogen? Wie würdest du wohl heute aussehen? Ich quäle mich gerade mit meinen Haaren herum. Immer noch habe ich deinen Satz im Kopf, ich sollte mir doch endlich mal das Pony wachsen lassen. Und immer wieder wage ich den Versuch und scheitere doch. Und dann ist da wieder dein Satz in meinem Kopf.

Immer wieder schaue ich mir Bilder von dir an, lasse die Minuten deutlich werden, in denen diese entstanden sind. Dann bist du ganz lebendig in mir. Und immer wieder kommt danach die Traurigkeit über die Zeit, die wir nicht mehr miteinander teilen können. Trauer über die Verbindung zwischen Tochter und Mutter, die wir nicht mehr leben können. Eine Vertrautheit, die mir so niemand mehr geben kann.

Ich weiß heute nach so langer Zeit, dass ich die Mütter, die ich damals ganz am Anfang traf, die schon lange um ein Kind trauerten, mehr denn je verstehen kann. Heute weiß ich, dass nichts mehr wird wie vorher, dass ihr uns begleitet, aber dass eure Stimme, euer Gang, euer Duft - alles was ihr wart, uns bis zum eigenen Tod fehlen werden. Und das niemand eure Stelle einnehmen kann, uns trösten oder gar helfen kann. Es ist und bleibt nicht fassbar - nicht realisierbar - nicht zu verstehen, auch wenn wir uns noch so sehr anstrengen. Unser Herz wird immer einen großen Schmerz aushalten müssen.

Ich liebe dich, mein Kind. Würde zu gern mal deine Stimme hören, dich mal im Traum sehen, irgendetwas - Hauptsache dich spüren und fühlen.

Ich umarme dich ganz fest, schicke dir tausend Küsse ins Sternenzelt, liebe Grüße auch für Tim und Timo,

deine Mama

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© I. Weinhold 2008

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